Das Wort Religion und der Begriff sanatana dharma unterscheiden sich voneinander. Das Wort Religion läßt einen an eine Art von Glauben denken, und ein Glauben kann sich ändern. Ein Mensch mag sich zu einem bestimmten Glauben bekennen, doch er kann diesen Glauben auch wechseln und zu einem anderen übertreten. Sanatana dharma hingegen bezieht sich auf die Tätigkeit, die niemals gewechselt werden kann. Man kann zum Beispiel die Eigenschaft der Flüssigkeit niemals vom Wasser trennen, ebenso wie Wärme nie vom Feuer getrennt werden kann. In ähnlicher Weise kann auch die ewige Funktion des ewigen Lebewesens nicht vom Lebewesen getrennt werden. Sanatana dharma ist ewig mit dem Lebewesen verbunden.
Wenn wir von sanatana dharma sprechen, müssen wir daher anerkennen, daß sanatana dharma weder Anfang noch Ende hat. Das, was weder Ende noch Anfang hat, kann auf keinen Fall sektiererisch sein oder durch irgendwelche Begrenzungen eingeschränkt werden. Dennoch werden diejenigen, die einem sektiererischen Glauben angehören, dieses sanatana dharma zu Unrecht ebenfalls für sektiererisch halten. Wenn wir diese Frage jedoch etwas eingehender betrachten und sie im Lichte der modernen Wissenschaft betrachten, werden wir erkennen können, daß sanatana dharma die Aufgabe aller Menschen auf der Welt ist - ja aller Lebewesen im Universum.
Ein Glaube, der nicht sanatana ist, hat in den Annalen der Menschheitsgeschichte einen Anfang, doch sanatana-dharma hat keinen Anfang, da er mit den Lebewesen ewig verbunden ist. Was die Lebewesen betrifft, so heißt es in den autoritativen Shastras, daß es für sie weder Geburt noch Tod gibt. In der Bhagavad-gita (2.20) heißt es eindeutig, daß das Lebewesen niemals geboren wird und niemals stirbt. Es ist ewig und unzerstörbar und lebt selbst nach der Zerstörung seines zeitweiligen materiellen Körpers weiter.
Wenn wir im Zusammenhang mit sanatana dharma die Bedeutung von Religion verstehen wollen, müssen wir von der Wurzel dieses Sanskritwortes ausgehen. Dharma bezieht sich auf das, was immer mit einem bestimmten Gegenstand verbunden ist. Zum Beispiel wird Feuer immer von Hitze und Licht begleitet; ohne Hitze und Licht verliert das Wort Feuer seine Bedeutung. In ähnlicher Weise müssen wir den wesentlichen Teil des Lebewesens entdecken, das heißt den Teil, der es ständig begleitet. Dieser ständige Begleiter ist seine ewige Eigenschaft, und diese ewige Eigenschaft ist seine "ewige Religion".
Als Sanatana Gosvami Sri Caitanya Mahaprabhu nach der svarupa eines jeden Lebewesens fragte, lautete die Antwort, daß die svarupa, die wesensgemäße Stellung des Lebewesens, darin bestehe, der Höchsten Persönlichkeit Gottes zu dienen. Wenn wir diese Erklärung Sri Caitanyas genauer untersuchen, können wir leicht verstehen, daß jedes Lebewesen ständig damit beschäftigt ist, einem anderen Lebewesen zu dienen. Ein Lebewesen dient anderen Lebewesen in vielerlei Weise, und so findet es in seinem Leben Genuß. Die niederen Tiere dienen den Menschen, und Diener dienen ihrem Meister. A dient dem Meister B; B dient dem Meister C; C dient dem Meister D, und so fort. So gesehen dient ein Freund einem anderen Freund; die Mutter dient ihrem Sohn; die Frau dient ihrem Mann; der Mann dient seiner Frau und so fort.
Wenn wir diese Betrachtungsweise weiter fortsetzen, erkennen wir bald, daß niemand in einer Gesellschaft von Lebewesen vom Dienen ausgenommen ist. Der Politiker präsentiert sein Programm der Öffentlichkeit, um sie von der Qualität seines Dienstes zu überzeugen. Die Wähler geben dann dem Politiker ihre wertvollen Stimmen, weil sie glauben, er werde der Gesellschaft guten Dienst leisten. Der Ladenbesitzer dient dem Kunden; der Arbeiter dient dem Kapitalisten; der Kapitalist dient der Familie; die Familie dient dem Staat, und all dies geschieht aufgrund der ewigen Eigenschaft des ewigen Lebewesens. Kein Lebewesen ist davon ausgenommen, anderen Lebewesen zu dienen, und daher können wir mit Gewißheit die Schlußfolgerung ziehen, daß Dienst der ständige Begleiter des Lebewesens ist. Demzufolge besteht die "ewige Religion" des Lebewesens im Darbringen von Dienst.
Aber der Zeit und den Umständen gemäß bekennen sich die Menschen zu einer bestimmten Glaubensrichtung und behaupten somit, Hindus, Moslems, Christen oder Buddhisten zu sein oder irgendeiner anderen Sekte anzugehören. Solche Bezeichnungen sind jedoch nicht sanatana-dharma. Ein Hindu kann seinen Glauben wechseln und Moslem werden; ein Moslem mag seinen Glauben wechseln und Hindu werden; ein Christ kann seinen Glauben wechseln, usw. Aber unter keinen Umständen beeinträchtigt der Wechsel des Glaubens die ewige Beschäftigung des Lebewesens, anderen zu dienen. Der Hindu, der Moslem wie auch der Christ dienen unter allen Umständen irgend jemandem. Sich zu einer bestimmten Art von Glauben zu bekennen bedeutet daher nicht, sich zu seinem sanatana dharma zu bekennen. Sanatana dharma bedeutet, Dienst darzubringen.
Tatsächlich sind wir mit dem Höchsten Herrn durch eine Beziehung des Dienstes verbunden. Der Höchste Herr ist der Höchste Genießer, und wir Lebewesen sind ewiglich Seine Diener. Wir sind für Seinen Genuß geschaffen, und wenn wir an diesem ewigen Genuß der Höchsten Persönlichkeit Gottes teilnehmen, werden wir glücklich werden. Wir können nicht auf andere Weise glücklich werden. Es ist nicht möglich, unabhängig glücklich zu sein, ebenso wie kein Teil des Körpers glücklich sein kann, ohne mit dem Magen zusammenzuarbeiten. In ähnlicher Weise ist es für das Lebewesen nicht möglich, glücklich zu sein, ohne dem Höchsten Herrn in transzendentaler Liebe zu dienen...